Bedeutende Praxisänderung des Bundesgerichts bei Einträgen in den Kataster der belasteten Standorte

Die Praxis des Amts für Umwelt des Kantons Thurgau wird vom Bundesgericht geschützt

Zwei Grundeigentümer liessen im Kanton Thurgau Ende der 80-er Jahre mit Bewilligung des damaligen Amtes für Umweltschutz und Wasserwirtschaft Kehrichtschlacke auf ihren Grundstücken, u.a. für die Befestigung von Wegen und von Stellflächen für Pflanzen-Container, einbauen. Das Amt für Umwelt des Kantons Thurgau (AfU) ordnete deswegen im Jahr 2019 die Eintragung der Liegenschaften im Kataster der belasteten Standorte (KbS) an. Gegen diese Katastereinträge wehrten sich die Grundeigentümer bis vor Bundesgericht – jedoch ohne Erfolg. Ihre Beschwerden wurden mit Urteil vom 25. November 2021 abgewiesen (BGer 1C_712/2020 und 1C_714/2020). Die Ecosens AG unterstützte das AfU in diesen beiden Rechtsmittelverfahren und trug damit zu einer Praxisänderung in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bei.

Begründet der (früher zulässige) Einbau von Kehrichtschlacke einen KbS-Eintrag?

Das Bundesgericht hatte in den beiden Urteilen zu entscheiden, ob es sich bei den Grundstücken nach dem Einbau der Kehrichtschlacke um belastete Standorte i.S.v. Art. 32c Abs. 2 USG handelt, die im KbS einzutragen sind. Das USG unterscheidet zwischen der Ablagerung einerseits und der Verwertung von Abfällen anderseits (Art. 7 Abs. 6bis USG). Gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. a AltlV gelten Standorte, an denen Abfälle abgelagert wurden, als belastete Standorte. Art. 30 Abs. 2 USG schreibt vor, dass Abfälle soweit möglich verwertet werden müssen. Durch die Verwertung wird eine bewegliche Sache wieder dem Wirtschaftskreislauf zugeführt und gilt folglich nicht mehr als Abfall. Vor diesem Hintergrund erwog die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichts, dass die Verwendung von Material, welches eigentlich den objektiven Abfallbegriff erfüllt, jedoch zu einem bestimmten Zweck und gerade seiner Eigenschaften wegen verwendet und eingebaut wurde, als eine Verwertung einzustufen ist, und es sich deshalb nicht um einen im KbS einzutragenden belasteten Standort handelt (vgl. BGE 136 II 142; BGer 1C_609/2014; BGer 1C_537/2016 und BGer 1C_547/2016).

 

Die Beschwerdeführer führten in ihren Rechtsmitteln gegen den KbS-Eintrag aus, dass ihnen die Kehrichtschlacke von der KVA aufgrund ihrer positiven Eigenschaften als Baustoff zur Verfügung gestellt worden sei, um diese wieder in den Wirtschaftskreislauf einzuführen. Sie könne in ihrem aktuellen Zustand auch nicht die Umwelt gefährden, da sie mit einer Deckschicht versehen und in genügend Abstand vom Grundwasser eingebaut worden sei. Die bauliche Verwertung der Kehrichtschlacke sei nach der damals geltenden Gesetzeslage zulässig und von der zuständigen Behörde bewilligt gewesen. Das BAFU unterstützte die Ausführungen der beiden Beschwerdeführer, dass die Kehrichtschlacke aufgrund ihrer positiven Eigenschaften als Befestigungsmaterial i.S.v. Art. 13 aTVA verwertet wurde und deswegen kein Ablagerungsstandort gemäss Art. 2 Abs. 1 lit. a AltlV vorliege.

Das AfU begründete den KbS-Eintrag damit, dass Kehrichtschlacke aufgrund der enthaltenen umweltgefährdenden Stoffe primär als Abfall und nicht als Baustoff zu qualifizieren sei. Es würde dem Zweck des Altlastenrechts widersprechen, einen mit Abfällen belasteten Standort nicht im KbS einzutragen, weil die Abfälle dort verwertet und nicht abgelagert wurden, zumal die Verwertung von Abfallschlacke nach geltendem Recht nicht mehr zulässig sei. Entscheidend sei einzig, dass es sich bei dem eingebauten Stoff um Abfall handelt, wobei der Grund, weshalb dieser eingebaut wurde, nicht entscheidend sei.

Wichtige Änderung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung

Das Bundesgericht erwog, dass die Abfallschlacke vorliegend aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften zu einem bestimmten Zweck eingebaut wurde und diese Verwendung nach bisheriger bundesgerichtlicher Praxis als Verwertung von Abfällen i.S.v. Art. 7 Abs. 6bisUSG zu qualifizieren sei. Das Gericht stimmte dem AfU jedoch dahingehend zu, dass hinsichtlich des Zwecks des KbS nicht ersichtlich sei, weshalb eine Unterscheidung gemacht werden sollte zwischen schadstoffhaltigen Materialien, die durch eine heute nicht mehr zulässige Verwertung oder durch Ablagerung in den Untergrund gelangt sind. Selbst in Fällen, in denen keine Untersuchungs-, Überwachungs- oder Sanierungsmassnahmen notwendig seien, gäbe der Eintrag im KbS Hinweise auf Verschmutzungen des Untergrunds und stelle dadurch sicher, dass bei baulichen Massnahmen die notwendigen Vorkehrungen zur Behandlung und Entsorgung der Abfälle getroffen würden. Des Weiteren sei die nachträgliche Beurteilung, ob es sich bei Auffüllungen im Untergrund primär um eine Verwertung oder eine Ablagerung gehandelt hat, oftmals nicht mehr möglich, da auch meist beide Ziele gleichzeitig verfolgt wurden.

Das geltende Abfallrecht erachte heute jede zulässige (d.h. umweltverträgliche) Verwendung von Abfall als Baustoff als «Verwertung» – und zwar ohne Rücksicht auf den für den Abfallinhaber im Vordergrund stehenden Zweck oder das Vorhandensein oder Fehlen spezifischer Materialeigenschaften – und als «Ablagerung» gelte nur noch die Entsorgung in einer Deponie. Gemäss VVEA könne unverschmutztes (A-Material) und schwach verschmutztes Material (T-Material) eingebaut bzw. verwertet werden; stärker verschmutztes Material unterliege jedoch grundsätzlich einem Verwertungsverbot (Art. 19 Abs. 3 VVEA) und müsse auf einer Deponie entsorgt werden.

Aus diesen Gründen entschied das Bundesgericht, die bisherige Differenzierung zwischen Verwertung und Ablagerung im Kontext von Art. 2 Abs. 1 lit. a AltlV zu überdenken, soweit es um Schadstoffe geht, die als Auffüll- oder Verfestigungsmaterial in den Untergrund gelangen. Massgeblich für einen KbS-Eintrag solle ab jetzt sein, ob die Verwendung des Materials zur Auffüllung oder Verfestigung aus heutiger Sicht zulässig wäre. Nach heutiger Rechtslage stelle der Einsatz von Schlacke zur Verfestigung von Wegen und Plätzen keine umweltverträgliche Verwertung von Abfällen mehr dar und die Schlacke müsse auf Deponien abgelagert werden. Deshalb seien die mit KVA-Schlacke befestigten Teile der Parzellen gemäss Bundesgericht als belastete Standorte i.S.v. Art. 32c USG und Art. 2 Abs. 1 lit. a AltlV zu qualifizieren, was einen KbS-Eintrag zur Folge hat. Nicht entscheidend sei, dass der Standort weder überwachungs- noch sanierungsbedürftig ist, da Art. 32c Abs. 1 und 2 USG einzig auf die Belastung mit Abfällen abstelle. Ebenfalls nicht massgeblich sei gemäss Bundesgericht, dass der Einbau der Schlacke damals mit Bewilligung der zuständigen Behörde erfolgte.

Gleichentags urteilte das Bundesgericht auch über einen anderen gleichgelagerten Fall im Kanton Solothurn, wo die geänderte Praxis ebenfalls zur Anwendung kam (BGer 1C_566/2020). Die geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichts dürfte sich auf die Vollzugspraxis der kantonalen Behörden auswirken, welche teilweise bisher Auffüllungen mit T-Material in den KbS eingetragen haben. Einige KbS-Einträge könnten somit wieder gelöscht werden. Die Differenzierung zwischen «Verwertung» und «Ablagerung» im Kontext von Art. 2 Abs. 1 lit. a AltlV dürfte für die kantonalen Behörde nun aber dank objektiveren Kriterien einfacher vorzunehmen sein.